Pressemitteilung 108/2020


#meinherzgehörtmir
Am 25. November 2020 ist der internationale Tag – Nein zu Gewalt an Frauen. Das Team der Frauenschutzwohnung Märkisch-
Oderland gibt Einblicke in die finsteren Erlebnisse von Frauen mit Gewalterfahrung.

Ein liebevolles Miteinander, ein friedliches Zuhause, einen Ankerplatz im Heimathafen – all diese Vorstellungen eines intakten Familienlebens sind leider
nicht hinter allen Hauswänden Realität. Das Team der Frauenschutzwohnung Märkisch-Oderland trägt zusammen, welche Abgründe Frauen mit
Gewalterfahrung durchleben. Mit der geballten Faust, einem würgenden Griff oder auch einem gezielten Schlag
mit der flachen Hand wird klargestellt, wer die Regeln aufstellt und was passiert, wenn sie nicht befolgt werden.


Liebes Team der Frauenschutzwohnung, warum passiert das? Ist Gleichstellung nur eine Fassade die in der Öffentlichkeit zur Schau getragen
wird?

Gewalt hat in erster Linie immer mit Unterdrückung zu tun. Ein Machtmissbrauch des vermeintlich Stärkeren, der den Schwächeren unterdrückt. Vor 100 Jahren
begannen Frauen sich für unsere Rechte einzusetzen. Sie waren sehr mutig und mussten mitunter harte Strafen erleiden. Die mutigen und engagierten Frauen
gibt es noch heute. Sie haben sehr viel für die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen erreicht, von der unsere Generation profitieren kann.
Für die Öffentlichkeit ist Gleichberechtigung Alltag und wird von den meisten Menschen auch befürwortet. Aber die Gleichstellung der Frau ist noch nicht
abgeschlossen. Es gibt noch viele Punkte, die ausdiskutiert und fein justiert werden müssen. Um in der bildlichen Sprache zu bleiben, hat die in der
Öffentlichkeit zur Schau getragene Fassade doch einige große Risse und Löcher bekommen. Durch diese scheinen bereits das Gewaltschutzgesetz und die
Istanbul Konvention hindurch.

Eine Partnerschaft zwischen zwei Menschen ist grundsätzlich privat und möchte auch so behandelt werden. Die Öffentlichkeit respektiert das. Darum ist es für
die Öffentlichkeit nicht immer sichtbar, dass Gewalt in unseren Haushalten hinter verschlossenen Wohnungstüren passiert. Und wenn Gewalt sichtbar bzw. hörbar wird, folgt oft Zurückhaltung. Die Beweggründe der Zurückhaltung sind unterschiedlich. Einerseits wollen viele sich nicht einmischen, da es ja reine
Privatsache ist. Andererseits gibt es auch die Menschen in unserer Bevölkerung, die schlicht und ergreifend eine tatsächliche Ignoranz nach dem Motto „Was geht mich fremdes Elend an?“ aufweisen. Bei vielen sind aber Verunsicherungen und Vorbehalte vorhanden. Sie sind damit überfordert, zu handeln bzw. zu helfen. Viele haben selbst Angst, dieses Thema bei der betroffenen Frau anzusprechen.
Es ist eine unangenehme Situation, sie fühlen sich hilflos. Andere aus der Bevölkerung, die mutig sind und helfen wollen, erleben auch vom Opfer eine unerwartete Reaktion. Wenn gegebene Hilfe nicht angenommen wird, kann es passieren, dass sich die Helfer wieder zurückziehen. Dafür hat das Opfer gesorgt
und möchte es auch in diesem Augenblick so. Zum Beispiel, wenn die Nachbarin eine gute Beobachterin ist. Sie erkennt, wie ihre Nachbarin sich verändert und
kann Spuren von körperlicher Gewalt sehen. Thematisiert sie es mit ihr und bietet ihr unter Umständen eine gute Lösung an, kann die betroffene Frau mit
Entsetzen darauf reagieren. Entweder werden Geschehnisse verharmlost oder verdreht. Manchmal regieren die Frauen auch aggressiv und wünschen keine
Einmischung. Manche Frauen benötigen mehrere Anläufe, weil eine Trennung oft mit finanzieller Abhängigkeit einhergeht. Gemeinsame Kinder sind ein weiterer Grund die Partnerschaft nicht zu beenden. Nur die reine Vorstellung, den Mann zu verlassen, löst bei einigen Frauen Panik aus. Sie haben Angst, dass die Drohungen der Partner in die Tat umgesetzt werden. Drohungen, die ausgesprochen wurden, gehen den Frauen durch den Kopf. Die Angstspirale
dreht sich weiter, sie denken an die schlimmen Bestrafungen oder Tötungsabsichten. Diese Frauen bangen um ihr Leben und bleiben - harren in der
häuslichen Gewalt aus. Die Öffentlichkeit repräsentiert unsere Gesellschaft. Wenn die Gesellschaft etwas genauer hinsieht oder hinhört, was der Nachbarin,
Freundin und Kollegin widerfährt, ist jeder Frau, die von Gewalt bedroht wird, geholfen. Es müssen nicht immer die großen Hilfsangebote sein. Es reicht
manchmal für den Anderen, Interesse zu zeigen. Zuhören oder kleine Signale senden, dass die Bereitschaft zur Hilfe da ist, genügt schon. Telefonnummern
von Beratungsstellen sind nützlich. Sie schützen die Anonymität und verringern die Scham auf beiden Seiten. Es ist wichtig zu erwähnen, dass häusliche Gewalt
keine Privatsache ist, sondern ein Straftatbestand und damit eine Angelegenheit der Öffentlichkeit. Körperliche Gewalt, Misshandlungen, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen sind hierzulande verboten. Aus diesem Grund sind sie nicht privat. Alles was nicht im gegenseitigen Einvernehmen geschieht, ist ein
Straftatbestand. Wir reden dann über Täter und Opfer. Der eigene Ehemann, der die Gewalt ausübt, ist ein Straftäter. Diese Unterscheidung sollte für die
Öffentlichkeit bewusst gemacht werden. Es bedarf sowohl einer größeren, öffentlicheren Präsenz, Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung, als auch
der Politik. Es gibt auf vielen institutionellen Ebenen Hilfeleistungen für Opfer von häuslicher Gewalt betroffener Frauen. Es wurde das Gewaltschutzgesetz
eingeführt und die Istanbul Konvention 2017 gesetzlich verabschiedet. Seit Januar 2018 ist diese in Kraft getreten und muss nun umgesetzt werden. Dies
sind alles junge Gesetze und Verordnungen. Natürlich wird es viel Aufklärungsarbeit und Gesprächsangebote geben müssen, damit diese ihre
vollständige Wirkung erzielen. Wir müssen uns auf einen langen Prozess einstellen. Warum passiert das? Es gibt viele Gründe, warum die Lebenspartner
bzw. Ehemänner körperliche Gewalt gegen ihre Frauen ausüben. Studien belegen, dass die Sozialisation des Mannes einen hohen Anteil daran hat, wie die
zukünftige Partnerschaft gelebt wird. Das heißt, wie erleben Männer in ihrer Kindheit den partnerschaftlichen Umgang zwischen Mutter und Vater/Stiefvater.
Gibt es Gewalt in der Familie oder einen liebevollen, freundschaftlichen und respektvollen Umgang zwischen den Erwachsenen. Die Erwachsenen sind die
Bezugspersonen der Kinder und Jugendlichen. Sie sind die Personen, die den jungen Menschen Orientierung, Sicherheit und Halt geben. Sie sind deren
Vorbilder und zeigen ihren Kindern, wie man eine Partnerschaft lebt.
Männer haben in ihrer frühen Jugend oft ein anderes Verständnis, eine andere Wahrnehmung zur Gewalt. Junge Männer befinden sich stets in Konkurrenz mit
dem gleichen Geschlecht. Das fängt schon in der Grundschule an. Dies ist kennzeichnend für deren Entwicklung. Viele Jungen lernen konstruktiv mit Ärger
und Stress umzugehen. Die, die nicht die Möglichkeit hatten, andere Formen der Stress- und Konfliktbewältigung zu erlernen, tragen Konflikte mit den Fäusten
aus. Der Überlegene gewinnt und hat das Sagen oder seine Ruhe. Dieses Bild von Männlichkeit kann dann später in Annahme von Selbstverständlichkeit in die
Beziehung eingebracht werden. Konfliktlösungen wurden nicht ausreichend erlernt. Die Übernahme gewaltvoller Strategien in die Partnerschaft ist dann für
die Frauen von schwerer Folge. Die konstruktive Auseinandersetzung mit der Partnerin ist nicht mehr möglich. Bei Konflikten können unkontrollierte
Gewaltausbrüche für die Frauen tödlich enden. Es ist dann kein Beziehungsdrama, es ist häusliche Gewalt mit Todesfolge. Weitere Ursachen für
häusliche Gewalt können seitens der Täter sein: Rollenverständnis, narzisstische Persönlichkeitsstörungen, geringes Selbstwertgefühl, Drogen- und
Alkoholmissbrauch, nicht aufgearbeitete Gewalterfahrungen in der Kindheit, plötzliche Arbeitslosigkeit, Partner oder Ehemänner, die eine
Persönlichkeitsveränderung infolge schwerer Krankheit oder notwendiger Medikationen und ihren Nebenwirkungen erleiden. Das Rollenverständnis
Frau/Mann ist in der Erziehung eines Mannes stark prägend für seine zukünftige Partnerschaft oder Ehe.
Welche traditionellen oder religiösen Werte werden vermittelt. Wie werden diese im Alltag umgesetzt? Was wird von dem Mann erwartet? Darf er sich in seiner Tradition frei bewegen und seine Frau respektvoll behandeln oder wird von ihm ein strenges, missbilligendes Verhalten und Durchsetzung erwartet?

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass häusliche Gewalt in aller Regel von den Kindern miterlebt wird. Kinder sind immer Opfer von häuslicher Gewalt, sie
prägt deren Persönlichkeitsentwicklung nachhaltig. Insbesondere dann, wenn sie selbst von Schlägen, Misshandlungen, Demütigungen und sexuellen Übergriffen betroffen sind. Darum bedeutet Frauenschutz auch immer Kinderschutz.

Mein Herz gehört mir – zielt auf die Unterdrückung der Frauen ab. Frauen
verwechseln dann die ganzheitliche Fürsorge des Partners mit dem Verlust der Selbständigkeit. Sie werden geführt, später manipuliert oder, um es mit
anderen Worten auszudrücken, sie werden die Marionette ihres Peinigers. Liebes Frauenschutzteam, ist das auch Gewalt? Und warum ist es für die
betroffenen Frauen so schwer zu erkennen?


Ja, psychische Gewalt ist Gewalt mit anderen Mitteln. Sie geht einher mit sozialer / ökonomischer / reproduktiver und digitaler Gewalt. Diese zeigt sich nicht offen, bedient sich subtiler Mittel und ist daher nicht sofort zu erkennen. Für die Frauen beginnt unter unserer Arbeit ein langwieriger und schmerzlicher
Erkenntnisprozess, der regelmäßig auch Rückschläge erfährt. Das Hinnehmen psychischer Gewalt, in der Annahme und mit dem fortgesetzten Apell des
Partners, nicht zu genügen, gehört ebenfalls zu den Erfahrungen der Frauen. Dazu gehören: Demütigungen, Beleidigungen, systematisches Kleinmachen,
Manipulationen aller Art, Wegnahme eigener Entscheidungen, Dominanz, Schlafentzug, Ängstigungen, Beschuldigungen, Bloßstellen vor anderen,
Vorenthalten von Medikamenten, Kinder werden als Druckmittel missbraucht, Quälen oder Töten des Familienhaustiers, Gaslighting (Verunsicherung der
eigenen Wahrnehmung durch subtile Veränderungen der Umwelt und Gegenstände), soziale Isolation, Bevormundung, massive Kontrolle, Geld
abgeben müssen, Kredite für den Partner aufnehmen müssen, Kaufverträge erzwingen durch ständiges Überreden, erzwungene Schwangerschaften oder
Abtreibungen, mobile Überwachung von Wohnräumen und digitale Kontrolle. Psychische Gewalt im häuslichen Bereich ist in allen Gesellschaftsschichten
anzutreffen. Selbst starke und selbstbewusste Frauen, verlieren unter psychischer Gewalt ihre eigene Wahrnehmung und Kontrolle über sich selbst. Sie
fühlen sich verunsichert, ängstlich, hilflos und glauben schuld an der Entwicklung der Partnerschaft zu sein. Bedenken durch nahestehende Personen fehlen
aufgrund sozialer Isolation. Selbsthilfepotenziale können nicht ausgeschöpft werden und liegen brach.

In unserer Arbeit mit den Frauen zeigt sich ein sehr subtiler und darum schwer erkennbarer Prozess von psychischer Gewalt innerhalb der Partnerschaft. Am Anfang steht immer eine gewollte Beziehung, in der der Partner viele gewünschte Attribute aufweist. So sind es die starken, selbstbewussten, fürsorglichen und liebevollen Partner, die in die engere Auswahl kommen. Sie geben sich als Versorger und Beschützer der Familie, als einen verständnisvollen Liebhaber. Bis dann der schleichende Prozess der Gewalt beginnt.

Psychische Gewalt hat für die Frauen schwerste Folgen. Sie ist Existenz bedrohend und zerstörend. Sie macht schwer krank. Depressionen oder organische Krankheiten können die Folge sein, bis hin zum Tod.

In der Frauenschutzwohnung können Frauen mit Gewalterfahrung eine vorübergehende Bleibe finden. Zudem erhalten sie Beratungen und Hilfestellungen, für ein neues Leben.
Frauenschutzwohnung MOL: 03341/496 155 oder 0170/5819 615
Weitere Informationen zum Aktionstag finden Sie auf der Internetseite des Vereins Terre des Femmes unter www.frauenrechte.de

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Frau Johanna Seelig
Stabsstelle des Landrates
Leiterin Stabsstelle/ Persönliche Referentin des Landrates und Pressesprecherin
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