Pressemitteilung 35/2022


Vorstellung der neuen Gedenkstättenkonzeption „Seelower Höhen ’45. Dem Krieg begegnen – den Frieden bewahren“

Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine hat das Befassen mit dem Thema Krieg, mit dem Schicksal von Soldaten und Zivilisten, mit Kämpfen und Sterben, mit den Auswirkungen von Waffengewalt auf die Überlebenden und auf die Landschaften eine aktuelle, bedrückende Relevanz erfahren. Sie wirft auch ein Schlaglicht auf den Umgang mit dem „Krieg“ in der deutschen Erinnerungskultur.
Das Oderland ist bis heute tief geprägt von den zehn Wochen währenden Kämpfen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieses tiefgreifende Ereignis in der Geschichte des Landkreises Märkisch‐Oderland war und ist für Besucherinnen und Besucher von anhaltendem Interesse.         
Die in Seelow bestehende Gedenkstätte wird deren Erwartungen und den Anforderungen an moderne Bildungsarbeit nicht gerecht. Trotz der Omnipräsenz von Themen des Zweiten Weltkriegs in den Medien und trotz des Anstiegs des Kulturtourismus verzeichnet die Einrichtung seit vielen Jahren einen Besucherrückgang.

Gestalt und Inhalt gehen am historischen Thema weitgehend vorbei. Bislang hat die Schlacht von 1945 keinen Ort, an dem sie museal adäquat und ansprechend erzählt wird. Diesen Ort gilt es zu schaffen. Dafür ist das historische Thema aus der räumlichen, gestalterischen und inhaltlichen Verklammerung mit der diktaturgeprägten Erinnerungskultur in Gestalt der Gedenkstätte Seelower Höhen zu lösen. In der dort festgeschriebenen Rahmung und Gewichtung sowie mit den bestehenden fachlichen und räumlichen Defiziten lässt sich keine zukunftsfähige, fachlich fundierte Erzählung über Krieg und Frieden etablieren. Das vorliegende Konzept zeigt praktikable Zwischenlösungen auf, die mit dem und im Bestand realisiert werden können. Kern dieser Zwischenlösung ist eine neue Dauerausstellung. Dafür sollen kurzfristig Mittel für internes und externes Fachpersonal bereitgestellt werden. Ziel ist eine Eröffnung im April 2025 zum 80. Jahrestag der Schlacht um die Seelower Höhen und des Kriegsendes in Europa. Das Konzept wirbt dafür, dass langfristig mit Seelower Höhen '45 an einem neuen Ort eine Institution geschaffen wird, die sich als modernes Antikriegsmuseum versteht.

Die Zukunft des Umgangs mit diesem historischen Thema ist für den Landkreis eine der größten Herausforderungen auf kulturellem Gebiet. Mit viel Mühe und Mitteln hat der Kreis drei Jahrzehnte lang die Gedenkstätte institutionell abgesichert. Die nunmehr anstehende Transformation hin zu einem modernen zeitgeschichtlichen Museum beansprucht deutlich mehr als die bisher eingesetzten Ressourcen. Für eine künftige Entwicklung sollte initiativ nach starken Partnern gesucht und mit ihnen zusammen ein zukunftsfähiges Träger‐ und Betreibermodell verwirklicht werden.

 

Statements der wissenschaftlichen Beiratsmitglieder:


Dr. Jürgen Reiche:
„An den Seelower Höhen im Oderbruch fand die größte Schlacht auf deutschem Boden statt, eine Völkerschlacht und ein fürchterliches Gemetzel, in dem über 100.000 Soldaten aus über zehn Nationen hingeschlachtet wurden. Dass hier in Deutschland bislang nicht angemessen an diesen Kriegsschauplatz erinnert wird, ist unverantwortlich und geschichtsvergessen, dass auf dem Schlachtfeld über die Gebeine der Verstorbenen heute Gülle ausgefahren wird eine Schande.“

 

Dr. Ansgar Reiß:
„Die Schlacht an den Seelower Höhen war eine der größten Schlachten des 2. Weltkrieges, und mit Abstand die größte, die auf dem Boden der heutigen Bundesrepublik Deutschland stattfand. Sie hat unzählige Opfer aus vielen Völkern gefordert. Vor 1990 wurde der Ort für die Selbstdarstellung des SED‐Regimes missbraucht. Nach 1990 blieb eine angemessene Aufklärung über die Geschichte und ein respektvoller Umgang mit den Toten praktisch ausschließlich privaten und kommunalen Initiativen überlassen. Deren Mittel waren durchwegs ganz unzureichend, zumal es nicht nur um einen einzelnen Platz, sondern ein gewaltiges Areal im Oderbruch geht. Ständig treten neue Zeugnisse des Krieges zutage, und ständig müssen neu aufgefundene Tote umgebettet werden. Zumeist wird das aber nicht einmal dokumentiert. Es ergibt sich das Bild einer traurigen Vernachlässigung, ja eines Auslöschens der Geschichte. Dies steht in einem scharfen Kontrast zum internationalen Interesse an diesem Geschichtsort und zur touristischen Bedeutung der Landschaft. Die lokalen Initiativen brauchen dringend eine viel breitere, nationale Unterstützung, um ihre Arbeit ausweiten und professionalisieren zu können. Die Erinnerung an die grausigen Wirkungen der kriegerischen Gewalt muss an künftige Generationen weitergegeben werden. Die Seelower Höhen könnten als einer der wichtigsten Gedächtnisorte in Deutschland in Erscheinung treten.“

 

Dr. Stefan Wolle
„Die russische Aggression gegen die Ukraine macht auf tragische Weise deutlich, wie aktuell die Frage von Krieg und Frieden ist. Die aktuellen Ereignisse zeigen aber auch, wie schwierig alle eindeutigen Zuordnungen sind.
Die sowjetischen Soldaten, die hier kämpften und fielen, waren Teil eines Freiheitskrieges der Völker gegen die Welteroberungs‐ und Vernichtungspläne des deutschen Nazismus gewesen. Sie kämpften auch für die Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus, gleichzeitig aber für den Sieg des stalinistischen Unterdrückungssystems, das nach 1945 Osteuropa und Ostdeutschland aufgezwungen wurde. Eine undifferenzierte Heldenverehrung kommt ebenso wenig in Frage, wie eine Missachtung der toten Soldaten, die in der letzten Schlacht des Krieges starben. Die Pflege ihrer Grabstätten ist eine Selbstverständlichkeit.
Die künftige Ausstellung wird den grausamen und verbrecherischen Alltag des Kampfgeschehens in den Mittelpunkt stellen, so wie ihn die Soldaten aller Armeen und die Bewohner des Oderbruchs erlebt haben. Dabei sollte die Vermittlung des historischen Geschehens so konkret wie möglich sein. Auf den Schlachtfeldern des Krieges haben nicht Systeme miteinander gekämpft, sondern Menschen. Dieser Grundsatz muss auch für die gefallenen deutschen Soldaten gelten, sei es, dass sie sich den Zwängen des Nazistaates beugten – sei es, dass sie einem falschen Ehrbegriff folgten.
Die Schrecken des Krieges sollen für den Besucher am Ort der letzten großen Schlacht des Zweiten Weltkrieges in Europa anschaulich gemacht werden und den Blick für historische Zusammenhänge und gegenwärtige Vorgänge schärfen."


Hintergrund:


Mitglieder des Beirats der Gedenkstätte Seelower Höhen / Projekt Seelower Höhen '45

  • Peter von Campenhausen, Leiter des Gymnasiums auf den Seelower Höhen
  • Dr. Jürgen Reiche, Wissenschaftliche Leitung Garnisonkirche Potsdam, Direktor Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (bis 2020)
  • Dr. Ansgar Reiß, Leiter des Bayerischen Armeemuseums Ingolstadt
  • Gernot Schmidt, Landrat Märkisch‐Oderland
  • Stephan Schwabe, Vorsitzender des Bildungsausschusses des Kreistages Märkisch‐Oderland
  • Dr. Stefan Wolle, Wissenschaftlicher Leiter des DDR‐Museums Berlin

 

Information zu den Autoren       
Für den Zeitreise Seelower Höhen e.V. haben Tobias Voigt und Janet Görner im Auftrag des Landkreises Märkisch‐Oderland im Spätsommer 2021 ein Konzept zum künftigen Umgang mit der Schlacht um die Seelower Höhen vorgelegt. Die Ausstellungsarchitektin und der Politikwissenschaftler blicken mit ihrer langjährigen Erfahrung auf eine Einrichtung, die am Rande der Museums‐ wie der Gedenkstättenlandschaft steht und auf ein Ereignis, dass sie nicht als Hypothek, sondern als echten Geschichtsschatz betrachten.  
Janet Görner hat Ausstellungen u.a. für das Deutsche Historische Museum, das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und das Bayerische Armeemuseum gestaltet.    
Tobias Voigt erforscht seit Mitte der 1990er Jahre Diktaturgeschichte und vermittelt Wissen in Büchern, Berichten und Dokumentationen.
Beider Fern‐, Drauf‐ und Binnensichten ermöglichen neue Zugänge.

 

Seelow, 19. August 2022

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Frau Johanna Seelig
Stabsstelle des Landrates
Leiterin Stabsstelle/ Persönliche Referentin des Landrates und Pressesprecherin
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